Wenn man Abschied nimmt…

Fertig, der neue Lenneper "Bahnhof"
Fertig, der neue Lenneper "Bahnhof"

Heute wird er feierlich eingeweiht, der sogenannte neue Bahnhof Remscheid-Lennep. Doch hat Remscheid-Lennep seit dem heutigen Tage offiziell nun keinen Bahnhof mehr. Das große Areal, auf dem sich einst auf über 50 Gleisen allerhand Stahl umher ziehen und schieben ließ, ist auf zwei Gleise geschrumpft. Der Bahnknotenpunkt ist seit heute von Bahnhof zum Haltepunkt geworden. Ein Nachruf Zwischenruf.

Viel hat er erlebt, der Lenneper Bahnhof. Der Remscheider Hauptbahnhof stand stets im Schatten Deiner umtriebigen Tätigkeit, die verschiedenen Regionen um Remscheid herum mit der Eisenbahn zu bedienen. Lennep war stolz, dass es nicht vom Hauptbahnhof, sondern von Dir aus auf verschiedenen Strecken weiter nach Solingen, nach Wuppertal, nach Radevormwald, in Richtung Hückeswagen und nach Wermelskirchen ging. Du warst einfach zuerst da, weil die Müngstener Brücke noch auf sich warten ließ, und der Remscheider Hauptbahnhof mehr oder weniger Sackgasse war. Für die Bedienung all dieser Strecken brauchtest Du Platz. Dem Eisenbahner schlug das Herz höher, wurde er Deiner Größe während Deiner Blüte gewahr. Über 50 Gleise solltest Du zur Spitzenzeit haben, es gab Direktverbindungen im Personenverkehr bis ins ferne Ausland.

Bf.-Remscheid-Lennep 211-272-0 Richtung B-Born, 1978
Bf.-Remscheid-Lennep 211-272-0 Richtung B-Born, 1978 - heute Busbahnhof

1868 bist Du geboren, weil Deine Menschen Dich benötigt haben. Fortan ging es auf anspruchsvoller Trasse flott nach Wuppertal Rittershausen, dem heutigen Oberbarmen. Anspruchsvolle Trassen sind im Bergischen nichts neues, hat Remscheid doch auch die steilste Straßenbahntrasse Europas gehabt.

Nicht Qualmen im BW Remscheid Lennep, 1964
Nicht Qualmen im BW Remscheid Lennep, 1964

Zahlreiche Lokomotiven hast Du beheimatet; Dampf und Diesel. Drei Drehscheiben durftest Du Dein Eigen nennen, zwei Lokschuppen. Güterwagen wurden im Norden Deines Gebiets ausgebessert. Von jeder Seite wurden Deine Besucher von Stellwerken begrüßt. RD-Lennep. Sie standen immerhin noch bis in die 90er Jahre, auch wenn Du zu dem Zeitpunkt längst aus der Ferne gesteuert wurdest.

E10 121 in Remscheid-Lennep, 1997
E10 121 in Remscheid-Lennep, 1997

Du hast viel gesehen. Selbst alt ehrwürdige Elektrolokomotiven standen in Deinem Areal, auch wenn es für Dich, obwohl an einer Hauptstrecke gelegen und für den Personenverkehr stets höchst rentabel, nie zur Elektrifizierung gereicht hat. Der hundertste Geburtstag der Müngstener Brücke machte es möglich, dass der Diesel Dir auch einmal die Welt der Elektromobilität zeigte. Die Müngstener Brücke ist auch der Grund dafür, warum Du noch immer relativ häufig eine Dampflok als Gast willkommen heißen kannst. Dampflokomotiven sind für Dich nichts Neues. Du hast sie nicht nur durchfahren sehen, sie waren bei Dir Zuhause. Zahlreiche Dampflokomotiven der verschiedensten Baureihen hast Du im Lokschuppen beheimatet. Diesellokomotiven und Triebwagen solltest Du nach dem Ende der Dampflokzeit noch über Jahrzehnte mit Diesel bedienen; dort, wo heute deine Anreiner Lebensmittel kaufen.

Loktankstelle Remscheid-Lennep, heute Nahversorgung (dm, Deichmann, Aldi usw.). Im Hintergrund das alte Stellwerk
Loktankstelle Remscheid-Lennep, heute Nahversorgung (dm, Deichmann, Aldi usw.). Im Hintergrund das alte Stellwerk

Über Deine Gleise fuhren Güter von internationaler Bedeutung; von der Seestadt auf dem Berge in die Welt. Von Panzern über Messer, nahtlosen Rohren und Heizungen, bis hin zu Stahl und Automobilteile; nichts, mit dem Du nicht fertig wurdest. Und dann wäre da noch das Tuch und die Maschinen für die Tuchherstellung, die Du mit direkten Werkgleisen abholen lassen konntest. Du hast zahlreiche, weltweit bekannte Waren abgeholt und in die Welt geliefert. 4 Millionen Kilometer legten die Züge jedes Jahr im Bergischen Land hinter sich, die im Personennahverkehr später im 20 Minuten Takt Deinen Weg kreuzten.

Noch ein Blick auf die Kopfgleise. Im Hintergrund der Kran beim Abriß der Drehscheibe zu sehen. Später Remscheids größtes Schlagloch. Die Gleise wurden zum Parkplatz. Heute Busbahnhof.
Noch ein Blick auf die Kopfgleise. Im Hintergrund der Kran beim Abriß der Drehscheibe zu sehen. Später Remscheids größtes Schlagloch. Die Gleise wurden zum Parkplatz. Heute Busbahnhof.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Deine volle Ausbaustufe erreicht, die Du nach den Wirren beider Weltkriege nie wieder erreichen solltest. Dein Untergang kam schleichend über mehrere Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, als Dir eine Lebensader nach der Anderen entzogen wurde, als die Wartung der Lokomotiven einfacher wurde, als der Güterverkehr nachließ, als der Bus und der LKW Dir den Rang abliefen, als man lieber über Eisenbahntrassen begann zu radeln.

Bf. Remscheid-Lennep Süd 08.1973
Bf. Remscheid-Lennep Süd 08.1973

Mit der Wasser- und Kohleversorgung hattest Du es nicht immer so genau genommen. Qualmen war bei Deinen Anreinern ohnehin nicht sonderlich beliebt. Durch Deine Nähe zum Stadtkern Lennep gab es hier immer wieder Auseinandersetzungen. Doch ohne Dich, das war allen klar, wäre die aufstrebende Wirtschaft und der damit verbundene Wohlstand kaum möglich gewesen. Das Bergische Land profitierte nicht, wie das naheliegende Ruhrgebiet, von Rohstoffen aus der Region. Alles musste importiert werden. Und doch wurde der Bereich um Dich zum größten Wirtschaftszentrum im Kaiserreich. Deshalb war es Dir auch vergönnt zur Speisung der bei Dir beheimateten Dampflokomotiven mit Wasser auch mal die Trinkwasser-Panzertalsperre bis zur Schmerzgrenze anzuzapfen.

Bf.-Remscheid-Lennep 50 2222 Ausfahrt-Nord. Gleis 3 rechts im Bild führte zur Waggon Ausbesserung, die sich hinter dem Fotostandort befand. Dort hat sich heute Kleingarten angesiedelt.
Bf.-Remscheid-Lennep 50 2222 Ausfahrt-Nord. Gleis 3 rechts im Bild führte zur Waggon Ausbesserung, die sich hinter dem Fotostandort befand. Dort hat sich heute Kleingarten angesiedelt.

Du warst das Tor vom Bergischen Land in die Welt, und von der Welt ins Bergische, vor allem aber ins Oberbergische. Alles hat seine Zeit, Deine geht jetzt als reiner ÖPNV-Bediener weiter, doch Deine Glanzzeit ist lange her. Mit dem heutigen Tag bist Du der erste Haltepunkt Remscheids. Remscheid-Hbf, Güldenwerth und Lüttringhausen haben noch sporadischen Güterverkehr, mehrere Gleise, zarte Bahnbetriebssamkeit. Das wirst Du nun nie wieder erreichen.

Historischer Blick auf den heute großzügigen Zugang auf Gleis 3 (Richtung Solingen)
Historischer Blick auf den heute großzügigen Zugang auf Gleis 3 (Richtung Solingen)

Es war mir eine Freude, den Dir gegönnten, großzügig angelegten, neuen Bereich ganz ohne Graffiti oder andere Schmierereien zu besichtigen und fotografisch festzuhalten, wohl wissend, dass dieses Zeitfenster vermutlich kurz bleiben wird. Man mag wehmütig werden, wenn man an das einstige Treiben zurückdenkt, doch darf man auch durchatmen, einen schönen Haltepunkt erhalten zu haben. Die verbliebenen Gebäude passen nun nicht mehr zu Dir – und genau genommen gehören sie auch nicht mehr zu Dir. Zeit sie abzutreten.

211-272-0 Einfahrt Gleis 1, im Hintergrund das alte Stellwerk
211-272-0 Einfahrt Gleis 1, im Hintergrund das alte Stellwerk

Jetzt hast Du eine großzügig gestaltete, neue Unterführung erhalten, die barrierefrei den Weg zu den Gleisen weist. Insgeheim wirst Du lachen, weißt Du doch, dass der Zugang in den Zug mit den derzeitigen Triebfahrzeugen noch nicht barrierefrei ist. Doch Du bist bereits gerüstet für eine neue Ära Triebfahrzeuge, deren größte Feinde, gerade in Kombination mit der anspruchsvollen Strecke, nicht die Vier Jahreszeiten darstellen. Der alte Muff, der siechende Tod, der über Jahrzehnte an Dir klebte, ist weg. Du bist frisch und modern geworden. Aber auch klein und nahezu bedeutungslos. Nur noch das nicht mehr zu Dir gehörende Bahnhofsgebäude, sowie das nebanan liegende Bahnbediensteten-Gebäude zeugen noch von alter Triebsamkeit. Der Güterabfertigungsbereich ist dank des wachsenden Birkenwalds fast nicht mehr zu sehen. Das Tor zur Stadt ist hübsch, modern und funktional geworden, wie zuvor Lüttringhausen, Güldenwerth und nicht zuletzt der Remscheider Hbf.

Tor zur Stadt - der neue Bahnhof Remscheid-Lennep
Tor zur Stadt - der neue Bahnhof Remscheid-Lennep
Willkommen in Remscheid-Lennep
Willkommen in Remscheid-Lennep
Heute findet die feierliche Eröffnung der neuen, barrierefreien Unterführung am Bahnhof Remscheid-Lennep statt
Heute findet die feierliche Eröffnung der neuen, barrierefreien Unterführung am Bahnhof Remscheid-Lennep statt

Detailansicht der neuen Unterführung im Bahnhof Remscheid-Lennep. Im Gegensatz zur alten Unterführung, wurde hier auf eine möglichst offene und helle Bauweise wert gelegt. Dies ist gelungen. Keine Spur mehr von den üblichen Kloaken-Unterführungen, wie auch Lennep eine hatte.
Detailansicht der neuen Unterführung im Bahnhof Remscheid-Lennep. Im Gegensatz zur alten Unterführung, wurde hier auf eine möglichst offene und helle Bauweise wert gelegt. Dies ist gelungen. Keine Spur mehr von den üblichen Kloaken-Unterführungen, wie auch Lennep eine hatte.

Und indes ärgere ich mich, dass ich die alte Unterführung nicht mal abgelichtet habe. Doch wer das Flair spüren will, betritt einfach das nur etwas weniger schlimm besudelte Bahnhofsgebäude, mit dem alten Bonner-Republik-Bahn-Flair.

7 Antworten auf „Wenn man Abschied nimmt…“

  1. Geht es Dir auch so, dass Du jahrelang an einem Objekt vorbei läufst und Dir das Fehlen eines Fotos davon erst auffällt, wenn das Teil verschwunden ist?

    Wer oder was ist SEV?

  2. Wenn ich mir die heutigen Bahnbauten anschaue, dann erweckt bei mir der Eindruckt, dass die Bahn ihr Hauptaugenmerk auf die Bauten setzt. Will sich da jemand ein Denkmal setzen?

  3. Ja, immer wieder passiert mir das mit dem vergessenen Foto.

    SEV ist Bahnjargon für Schienenersatzverkehr. Da gibt es in Radevormwald und Remscheid einige Buslinien, die nicht von der Stadtwerke, sondern seit Jahrzehnten von der Bahn betrieben werden, eben weil die Bahnstrecke nicht mehr existiert.

    Bzgl. der Bahnbauten glaube ich, dass dies früher wesentlich ausgeprägter war. Der Bahnhof gilt noch immer als Tor der Stadt, ist aber häufig doch zweckoptimiert gebaut. Früher waren die deutlich prunkvoller, auch wenn dies keine Sau benötigte.

  4. War heute per Bus in Lennep und habe mir den Haltepunkt angesehen. Früher ging es vom Bus zwischen Empfnagsgebäude und Sozial- Baracke für Eisenbahner direkt zur Treppe zum Gleis 3 nach Solingen. Der Aufstieg zum Gleis nach Solingen wurde deutlich verlängert und ist auch nicht überdacht. Vom Treppentunnel zum Unterstand war es früher nur ein Katzensprung und man konnte sich auch im Treppenaufgang zu Gleis 3 Unterstellen. Und bis vor kurzem hatte Gleis 1 noch einer wunderschöne Überdachung! Zwar sind Rampen für Rollstühle und Kinderwagen schön, aber die wären auch möglich, ohne den Zuweg für alle anderen deutlich zu verlängern.

    Aber wir werden den Rückzug der Bahn noch bereuen.

    Das sagt die Bundeswehr zur Zukunft:
    http://peak-oil.com/peak-oil-studie-bundeswehr.php

    Und statt ihre Strecken stillzulegen haben andere Regionen diese modernisiert: http://www.avg.info

    Und Güter auf die Bahn wäre denzentral machbar, wenn man nur wollte:
    http://www.container-linienzuege.de
    http://www.containerserviceamladegleis.de

    Aber statt für die Zukunft der Remscheider Industrie ein Bahn- Logistik- Zentrum zu schaffen, wird das wertvolle Bahngelände wahrscheinlich für triviale Dinge verhökert!

    Weiter Bilder gibt es bei http://www.bahnen-wuppertal.de

    Mal abwarten, wie sich im nächsten harten Winter der Schnee im Treppentrichter verfängt.

  5. Jaaaaa Jaaa klar ist das neue Bahnhofsgebäude in Lennep schön, trotzdem stellt sich mir unaufhörlich die Frage, warum?!? Warum macht man aus einer der ältesten und ehrenwürdigstens „Städte“ im Bergischen Land einfach so ne „Nebenhaltestelle“?!? Warum hat man überhaupt die Talsperre gebaut wenn man bedenkt welche Konsequenzen das für eine Stadt wie Radevormwald hat, bzw. hatte, alleine was die Industriekultur und die Infrastruktur angeht, vom Kulturellen und vom Geschichtlichen Gesichtspunkt her (wenn man mal die versunkenen Ortschaften der „Wupperstädte“ bedenkt) Himmelswiese, Hammersteiner Lager, Krebsöge, Kräwinkler Brücke (die so ganz nebenbei gar nicht hätte abgerissen werden müssen)?!? Hab mit meinen Großeltern und meiner Mutter die hier im Bergischen aufgewachsen ist geredet und muss sagen dass ich mir zumindestens was Gesichtspunkte wie die Talsperre und die Bahnlinie angeht mir das „echte“ Radevormwald zurück wünschen würde (muss dazu sagen das ich es bis auf einzelheiten wie z.B. die Wilhelm Ernst Papierfabrik in Wilhelmsthal, Hardt & Pocorny in Dahlhausen oder Fa. Wülfing in Dahlerau, und div. kleiner Anlagen auch nur aus Bildern, Literatur und Erzählungen kenne)
    lg der Typ aus´m tiefsten Loch der teifen Löcher

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