Karikaturenstreit

Wizo - Schwein am Kreuz
Wizo - Schwein am Kreuz

Alles, was einmal losgelassen, fängt man nicht wieder ein. Das gilt für (gottgegebene?) Viren, für Atombomben, und das gilt natürlich für Karikaturen. Und gerade im Internet, welches ja „nichts vergisst“, vergisst man es nicht.

Der Sonntag war eigentlich schon abgeschlossen. Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs war gerade vorbei. Was sollte man halbmüde an einem Sonntag Abend vor dem Fernseher leichte Speise in sich reinschaufelnd noch vom Fernsehen erwarten? Plötzlich kam die Vorschau für den dann folgenden WDR Rockpalast, und oho: Wizo hatten ein Gastspiel von Mitternacht bis zwanzig nach eins. Das fand ich schon deshalb befremdlich, weil sich Wizo nach dem Zerkloppen des WDR Equipments und dem Spielen des `Bösen Liedes` beim Bizarre Festival `96 ein „Wir müssen draußen bleiben“ Schild von diversen Staatsschutzorganen auf die Stirn haben pappen lassen müssen. Doch so wie auch bei Pink Floyd die Zeit die Wunden heilte, und sie nach pyrotechnischem Einsatz und folgendem, lebenslangem Hausverbaut in der Royal Albert Hall später doch wieder durften, durfte wohl Wizo nach Begnadigung auch wieder für den WDR anschaffen – und das böse Lied wurde am Ende mit Ton (Text) ausgestrahlt, obwohl doch immer indiziert? Es durchzog meine Glieder bei einer dieser nicht enden wollenden Selbstdarstellungsansagen – da war doch noch eine andere Geschichte mit Wizo, die man zu der Zeit nur spärlich über Fanzines und irgendwelche Booklet-Schnipsel mitbekam. Die Holzmedien Fraktion nutzte das Internet zu der Zeit noch fast ausschließlich, weil man dabei sein musste. Ein Abo-Formular war da noch das höchste der Gefühle. Außerdem war Bandbreite schmal und teuer, ein Zeitungsscan nicht mal eben auf der Festplatte, wie heute Herr der Ringe in HD.

Karikaturenstreit!
Was haben wir uns zurecht aufgeregt über Gläubige Moslems, die ihre Gefühle nicht im Griff haben, die eine Karikatur, so geschmacklos sie sein mag, nicht einfach aushalten. Es ist ja nur gemalte Satire. Doch wenn in jeder Satire ein Fünkchen Wahrheit steckt, weckt das die Geister. Bloß nicht ertappen lassen. Wir argumentierten aus unserer säkularen Nische gegen das Unverständnis der Kritikfähigkeit der im Mittelalter verfangenen Lünchjustiziare jenseits europäischer Grenzen. Die Leben ja noch im Mittelalter haben wir gesagt. Die haben Ihre Emotionen nicht im Griff haben wir gesagt. So sollte man nicht reagieren haben wir gesagt. Richtig. Ein Schwang von Überheblichkeit war im Unterton zu hören. Wir sind weltoffen, wir sind tolerant. Falsch!

Es ist sehr leicht sich über andere Religionen lustig zu machen. Ansatzpunkte gibt es wahrlich genug, bei jeder Gattung dieses Spezies in jeder erdenklichen Form. Doch wie absurd es war, dass beim Karikaturenstreit ausgerechnet Personen wie Stoiber und Hahne (der, der sagte, man müsse Gott wieder zurück in Politik führen, und weltschwafelnd Missionstalk im ZDF betreibt!)  ihre Köpfe in die Kamera hielten um die Verhaltensweise anderer zu analysieren, wurde mir so richtig erst gewahr, als ich Wizo im Fernsehen sah, und mich an das Schwein am Kreuz erinnerte.

Weg mit dem Schwein – Blasphemie!
War es doch das putzige, viel zu jung gestorbene Wizo Schwein, welches in Teilen des Landes, die sich katholische Frömmigkeit auf die Fahnen schreiben, für ebenjene Reaktionen sorgte, wie der Bombenkopf aus Dänemark. Da hat man dann auch jede Form der Sachlichtkeit überschritten, und ganz so, wie Moslems zum Tod der Karikaturisten aufriefen, liefen in Regensburg Morddrohungen ein, wenn man das Bild nicht sofort aus dem Internet entferne und den T-Shirt Verkauf stoppe. Es sollte Gotteslästerung sein, worüber sich tausende aufregten und genötigt fühlten, Unterschriften zu sammeln.
Etwas ans Kreuz nageln reicht für Gotteslästerung und weiträumigen Protest, getreu dem Motto

Autobahn geht gar nicht

geht auch das Kreuz gar nicht. Dabei war das Schwein nach Informationen des Schöpfers nicht mal getauft!

Die Band schrieb dazu:

Die Band WIZO möchte zuallererst das Mißverständnis aufklären, daß im fraglichen Bild „der gekreuzigte Heiland als Schwein dargestellt wird“. Es handelt sich hierbei vielmehr nur um die Comiczeichnung eines Schweins an einem Kreuz. Das Schwein wird im Bild weder mit der Bezeichnung „INRI“ versehen, noch weist es andere Merkmale der üblichen Jesus-Darstellungen auf (Dornenkrone, Sandalen, blutende Stichwunde im Rippenbereich, andere blutende Wunden, lange Haare, mageres, ungepflegtes Erscheinungsbild).[..]
Im Laufe der vergangenen Woche hat die Diözese Regensburg gegen die Einstellung der Anzeige Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg eingelegt. [..] Flankiert wurden die Maßnahmen des Bischöflichen Kreuzritters durch ein paar „unterstützende“ Nachrichten auf dem Anrufbeantworter von Hulk Räckorz (Anm.: Die Plattenfirma), sowie vereinzelten Brief- und Faxsendungen an die Firmen-Adresse. Während sich die Anrufe „empörter gläubiger Christen“ thematisch mehr damit beschäftigen, unsereins wahlweise „an die Wand gestellt“ oder „nach Dachau“ zu wünschen, beziehungsweise ankündigen „den Laden anzuzünden“, respektive „eine Bomb‘ nei z’werfa“ (alles selbstverständlich anonym), drohen uns in den schriftlichen Ausführungen eher die „an Verwünschung grenzende Empörung gläubiger Christen (schon wieder!)“ oder die „Abrechnung“ in der Stunde unseres Todes. [..]

Ich habe mich damals schon gefragt was einen Menschen überhaupt dazu veranlassen kann, sich wegen einer Auseinandersetzung mit einer unwahrscheinlichen und darüber hinaus schlecht konstruierten Hypothese so dermaßen aufzuregen? Nagelt jemand die Kanzlerin irgendwo dran, würde sich wohl kaum jemand beschweren. Und der eigene Kopf als verzerrte Karikatur mit der Überzeichnung des eigenen unperfekten Ichs, ist und bleibt auf jedem Jahrmarkt und in der Fußgängerzone ein gerne angenommenes Angebot. Ich bin zu dem Schluß gekommen, dass man sich schlicht ertappt fühlen muss, regt man sich so maßlos aus. Und damit wir uns nicht abwertend (im Sinne des Wortes) in Kunst und Kultur dem Thema Glauben widmen können oder gar den Unsinn plakativ machen dürfen, sondern das Recht auf Unversehrtheit seiner eigenen Hypothese verbriefen, garantieren wir staatlich zugesichert nur die positive Handhabung eines höchst umstrittenen und künstlich sensibilisierten Themas. Für mich ist es fraglich, ob man so Glauben entwickeln oder hinterfragen kann. Hinter jeder neuen, kritischen These meinerseits steht immer ein aufrechter Christ der sich sichtlich erboßt zeigt, mir aber nicht erklären kann, warum. Dabei sollte beachtet werden, dass es bei der Auseinandersetzung mit dem Glauben um die Idee an sich geht, nicht um die Menschen dahinter. Wer sich von jemandem „Schmerzen zufügen lässt“ der eine abstrakte und unwahrscheinliche Idee auf welche Art und Weise auch immer kritisiert oder karikiert hat, zieht hier lediglich den Schuh an, der ihm passt.

Hingegen bleibt die Frömmigkeit in den Augen vieler, und derzeit nimmt das in beängstigender Weise zu statt ab, scheinbar ein Wert für sich. Warum? Was ist daran wertvoll irgendwas zu glauben statt in mindestens agnostischer Manier zu konstatieren: Ich habe keine Ahnung! Schließen möchte ich ebenfalls mit Wizo:

Deine Werte, Deine Normen,
die Moral und das Gesetz,
sind entbehrlich und ersetzbar –
überflüssiges Geschwätz.
Heute gültig, morgen nichtig,
übermorgen umgekehrt.
Was hier richtig oder wichtig
ist woanders ohne Wert.
Deine Götter, keine Kirchen,
Glaube, beten, Religion.
Heute heilig, morgen Frevel,
übermorgen blanker Hohn.
Und das Geld, und der Ruhm,
und die Unvergänglichkeit,
sind bei näherem Betrachten für’n Arsch.

Wizo – Raum der Zeit

Es bleibt mir noch immer zu einfach das als richtig und wichtig zu akzeptieren, was mir angezogen wurde, worin ich aufgewachsen bin. Und Morddrohungen möchte ich schon garnicht deshalb aussprechen. Die kritische Auseinandersetzung auch mit der eigenen Überzeugung scheint aber auch vielen viel zu lästig zu sein.

Wer die ganze Posse lesen möchte, hier lang. Und jetzt wirklich der letzte Satz als Zitat vom Schöpfer:

Ich denke, daß ich mich mit dem Urteil am jüngsten Tag durchaus abfinden werde, denn ich habe das Gottvertrauen, daß der Herr nicht über die Engstirnigkeit verfügt, die seine irdischen Vertreter offensichtlich auszeichnen.

4 Antworten auf „Karikaturenstreit“

  1. Wenn Moral und Gesetz entbehrlich sind, sollte man nicht mehr von Mord sprechen. Das ist einfach eine negative Bewertung einer möglicherweise positiven Handlung.

    Was das Bild angeht, ist es eine hüschhässliche Provokation. Eine Karikatur ist eine Überzeichnung, bzw. eine Übertreibung. Es müsste also ein Bezug zu Jesus bestehen. Aber ein Mensch, der sich für seine Überzeugung und nach christlichen Verständnis für unser aller Heil unschuldig gekreuzigt wird. der kann beim schlimmsten Willen nicht mit einem Schwein überzeichnet dargestellt werden. Immerhin hat es keine Todes- Fatwa eines Bischofs gegen die Zeichner gegeben. Hätten diese einen beliebigen Mann mit Turban und Bart nachts bei Halbmond am Kreuz gezeichnet, wer weiß…..

    Aber man kann das Bild mal an Muslime posten. Bei denen ist Jesus Prophet. Und auch wenn diese das Kreuz ablehnen, könnte diese Darstellung diese stärker aufregen, als viele Christen, weil bei denen das Schwein als unreines Tier doppelt negativ gesehen wird.

    Die Mohammed Karikatur mit der Bombe hat immerhin Bezug zu Salfisten und zum hundertjährigen Feldzug der Muslime von Mekka in Arabien bis Portier in Frankreich und den zahlreichen Angriffen auf Europa bis zur 2. Belagerung Wiens.

    Eine ganz andere Frage ist, ob ich sowas zeichnen würde. Wenn ich weiß, dass dies viele Menschen aufregt und die bedrängten Christen im Orient in große Gefahr bringt, dann unterlasse ich sowas. Man muss nicht alles tun, was man tun kann.

    Zur Geschichte besteht eine Verbindung. Eines der alten Zeugnisse von der Existenz des Christentums ist ein Graffiti in Rom: Ein Mensch betet vor einem gekreuzigten Esel und darunter steht: Markus betet seinen Gott an.

    Ich habe keine Lust, mich mehr zu diesem Bild zu äußern, warum auch, es ist zu primitiv. Wenn jemand Lust hat, dies auf seine Seite zu setzen, tut der mir Leid. Aber weit schlimmer, als das Bild ist der Liedtext weiter unten, wenn der eine Überzeugung darstellen sollte. Es lebe das Recht des stärkeren!

  2. Zunächst: Das Wort Karikatur kam in dem Kontext vom Gegner der Zeichnung in die Diskussion – es passte wohl so schön. Sowohl für die Band, wie für den Zeichner, war es eine „Zeichnung eines Schweins am Kreuz“. Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei der Band teilweise um überzeugte Vegetarier handelt, das Kreuz auch das Symbol für Hinrichtung sein kann, kann man auch zu ganz anderen Schlüssen kommen, als es die Kirche tat.
    http://www.youtube.com/watch?v=JihR_wjQmkQ

    Man muss nicht alles was man kann, richtig. Aber ich sehe es persönlich auch nicht als sonderlich nützlich an „religiöse Gefühle“ zu schützen, die schneller verletzt sind, als eine Maus in der Falle. Meine Frage: Was regt man sich so auf? Ist das Unsicherheit? Ablenken?

    Ansonsten lasse ich mir gerne vorwerfen, zum Zwecke einer zielgerichteten Fokussierung, mit der Zitierung nur der zweiten Strophe eine ungewollte Verzerrung herbeigeführt zu haben, und den nicht unmaßgeblichen Refrain sowie die erste Strophe fallen gelassen zu haben. Letztendlich ändert das allerdings nichts am Inhalt.

    Der Band ist es mit den paar Zeilen gelungen eine objektive Beschreibung abzuliefern. Wäre ich ein Alien und beobachtete die Menschheit über die letzten Jahrtausende, muss ich zwangläufig zum Schluß kommen, dass alles, was Dich und mich ausmacht, überflüssig ist, das Deine und meine Werte und Normen heute gültig, und übermorgen nichtig sind.

    Die Quintessenz daraus ist jedoch viel wichtiger: Es gibt überhaupt keinen Grund, die eigene Wertevorstellung als die bestmögliche darzustellen (wenn man im Wissen ist, dass vorher was war, und nachher was sein wird), und schon gar nicht als „gottgegeben“ zu sehen. Es heißt jedoch keinesfalls, sie ohne Not über Board zu werfen. Allerdings sehe ich in Teilen Not.

    Die Moral halte ich zu 100% „für’n Arsch“. Sie hat einfach den Nachteil, dass der Mensch das Handeln eines anderen immer mit der eigenen Moralvorstellung bewertet. Dies kann jedoch nicht funktionieren, sie ist immer mit der Moralvorstellung des Handelnden zu bewerten. Auch Du hast in Deinem Beitrag leider sofort wieder eine moralische Abgrenzung gezogen, statt eine einzureißen, und in christlichem Chauvinismus abwertend, die eigenen Moralvorstellungen ansetzend, das „korrekte Verhalten“ von Muslimen angezweifelt.

    Du kannst Dein Handlen doch nicht aus sich selbst heraus als gut begründen, nur weil es Deinem Gott gefällig ist, und gleichzeitig die Wertevorstellung eines anderen, die seinem Gott ebenfalls gefällig ist, als fragwürdig abtun. Du wirst Menschen finden, deren Götter es gefällig ist, in Hochhäuser zu rasen. Deshalb ist und bleibt die Moral unbegründet. Und weil Du eingangs von Mord sprachst, bist Du mit Wertevorstellungen und Moral auf ziemlich verlorenem Posten, wenn es zu begründen gilt, was Mord überhaupt erst verursacht. Genau hier geht es um die Abgrenzung eines Bösen. Der Ehrenmord ist auch sehr gut moralisch begründbar und steht auf einem soliden Wertegrüst. Mit Moral alleine wirst Du ihn nicht verhindern, und mit dem Gesetz auch nicht.

    Welche Moral ist die Richtige? Nur immer die eigene? Nur die christliche? Nur die christlich kompatible? Das ist viel zu einfach, und nicht zuletzt gefährlich. Ich fürchte jedoch, dass dieser Gedankensansatz schwer vermittelbar ist, hat man ein Wertesystem von Schuld und Sühne, von Gut und Böse, mit der Muttermilch aufgezogen. Zumindest ist dies meine Erfahrung zahlreicher Diskussionen. Am Ende bleibt immer ein nicht mehr zu hinterfragen gewünschtes „aber trotzdem“.

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