NON STOP CITY – Kanalglühen Ruhr 2010

NON STOP CITY - Ruhr2010
NON STOP CITY - Ruhr2010

Die Sonne küsste noch zart die oberen Blätter der Baumwipfel. In weiter Ferne sah man im goldenen Rot des Sonnenuntergangs durch die geometrisch gewobene Eisenbahnbrücke hindurch, die sich majestätisch bis brachial durch die Natur über den gleichsam künstlichen und doch naturell vereinnamten Kanal hinweg erhob, den Wasserdampf eines Abstichs aus einem der verbliebenen Hochöfen Duisburgs. Hier ist alles Kohle und Stahl. Die Silouette der Stahlfachwerkbrücke erweiterte ihr Schattenspiel auf das mühsam fließende Wasser. Wir stehen am Ufer des Rhein-Herne-Kanals, irgendwo in Duisburg-Meiderich. Ruhrpott. Eisenbahn, Schiffahrt, Kohle und Stahl. Der Geruch nach Brennstoffen, Schmierstoffe. Kohlenmonoxid aus großen Blechrohren verbreitet sich wie der Nebel am Morgen über das Wasser und raubt einem die Luft.

Kanalglühen auf dem Rhein-Herne-Kanal
Kanalglühen auf dem Rhein-Herne-Kanal

Jetzt nur nicht umkippen. »Wann waren Sie zuletzt im Kanal schwimmen?« Noch gar nicht, und es wäre schön, wenn ich das so beibehalten könnte. Ich fühlte mich erinnert an Tage meiner Kindheit; Verwandte besuchen, an der Strecke stehen. Ewigkeit erleben. Oder war es Langeweile? Nostalgie ist Erinnerung an die Vergangenheit, wie sie nie war. Und die Kindheit sollte mich erneut einholen. Holten. In Oberhausen gelegen, in der Nähe zu Duisburg. Wie überhaupt im Ruhrgebiet alles in der Nähe zu irgendwas ist. NON STOP CITY. »Können Sie sich eine endlose Stadt vorstellen?« Stundenlang steht man an Bahnhöfen, um den Zügen hinterher zu schauen. Nord-Süd Achse, Ost-West Achse. Güterzüge. Traum meiner Kindheit, spätestens seit Alf mit Willy in Eine Reise durch die Nacht auf einen Güterzug aufgesprungen ist, um ziellos durch Amerika zu trampen. Große weite Welt – endlos. Ewigkeit erleben. Doch nur scheinbar, denn man bewegt sich doch immer im Kreis. Wie auf der Modellbahn, wie bei NON STOP CITY. Ich war wieder angekommen, wo ich schon einmal war. Und meine Reise sollte enden, wo sie begann. Doch ist trotzdem viel geschehen.

Glüht der Kanal länger als die Kohle?
Glüht der Kanal länger als die Kohle?

Schön, dass wir uns so gutes, wenngleich frisches Wetter ausgesucht haben. NON STOP CITY glühte. Die MS Duisburg betreten, und von zwei so Vögeln mit Handschlag überschwänglich freundlich begrüßt worden. Das war doch keine Butterfahrt? Irgendwas stimmt hier nicht, die kommen bestimmt nicht von hier. Schon der Kartenabreißer zeigte eine Attitüde die alles war, nur nicht Ruhrpott. »Grosse Heimat.« Freundlich, gut gelaunt, befremdlich. Das war nicht mein Ruhrpott. Mein Ruhrpott ist zwar herzlich, aber skeptisch, freundlich, aber direkt. Erstmal die Arme verschränken.

Duisburg Industriegebiet West II
Duisburg Industriegebiet West II

Auf dem Oberdeck waren diese weißen Plastikstühle verteilt, die auf türkischen Teppichen standen. Man gönnt sich ja sonst nichts. »Wie stellen Sie sich die Arbeit für das Minimum vor?« Nun fehlt lediglich noch eine runde Neonröhre über dem weißen Pressspan-Klapptisch, Asbest, und die Atmosphäre wäre komplett. Ich erspähe einen Diaprojektor mit Rundmagazin. Schon wieder hatte ich den Geruch des Pfeifentabaks in der Nase, mit der mein Vater den Hobbykeller regelmäßig einzuräuchern wusste, als er über der Modellbahn brütete, während ich mich dem Lego ergab. Es gibt wenige Gefühle, an die ich mich lieber erinnere, als an diesen verregneten Sonntag Nachmittag. Ewigkeit erleben. Tagsüber, wenn mein Vater arbeiten war und sich der Qualm verzogen hat, roch es immer nach Chemikalien aus der alten Fotokammer. Irgendwo lagerten sie. Und an Dias hat es nie gemangelt. Wie auf der MS Duisburg. Plötzlich reißt mich eine Tonrückkopplung aus meiner ziellosen, aber gerichteten Gedankenduselei.

Schleuse Oberhausen
Schleuse Oberhausen

Eigentlich reichen mir viele Dinge in ihrer Schönheit so wie sie sind, da bin ich bescheiden. Doch einer der Initiatoren der Veranstaltung ließ es sich bei der Begrüßung und der freundlichen Bitte, keine Brandflecken in die Teppiche zu machen, nicht nehmen, uns über Sinn und Zweck der Teppiche aufzuklären. Das mit dem pfleglichen Umgang der orientalischen Fußbodentapete, die den Eindruck erweckte nicht ohne Handeln und feilschen zu erstehen gewesen zu sein, bekomme ich noch hin, und zu dem Rest? Ich war längst wieder in eigene Gedanken vertieft, als mich eine Eindringlichkeit im Tonfall doch wieder zur Aufmerksamkeit mahnte. Auf die Brücken sollten wir acht geben, sagte die Stimme mit ernstem Unterton, als meine Aufmerksamkeit wie der Schiffsmotor wubberte. Die Brücken seien teilweise niedrig – sehr niedrig.

Brücke A3 - Rhein-Herne-Kanal
Brücke A3 - Rhein-Herne-Kanal

Das erste Rätsel des Abends, warum hier so eine Freundlichkeit herrscht, wurde gelöst. Die kamen tatsächlich nicht von hier, sondern aus Berlin, was das Ganze noch spannender machen sollte. Den Blick von außen erfahren, hat immer einen besonderen Reiz, wo ich doch selbst schon mehr außen als innen bin. Erik Göngrich und Jan Liesegang / raumlaborberlin. Aus Berlin – aus Berlin. Aus den Boxen hämmert monoton das Geräusch eines Zwei-Takt Diesel Schiffsmotors, was unter den zahlreichen Brücken noch stärkeren, fast metallischen Sound annehmen sollte. Manche Musikrichtung vermag ungewollte Verbindungen zu offenbaren. Wir unterqueren die A3. Ungerade Zahl, Nord-Süd Achse, in jeder Richtung Ewigkeit.

Oberleitung durchzieht das Ruhrgebiet
Oberleitung durchzieht das Ruhrgebiet

Die Dame vor mir springt vor Freude auf, um im Rhytmus der Schläge zu tanzen, jetzt, wo es doch so schön hallt. Watt dem ien sien Uhl, es dem annern sien Nachtigall. Doch nicht jeder zeigt sich begeistert. Erste fragende Minen erheben sich vom Stuhl. Was ist das hier? Rhein in Flammen war anner Kreuzung rechtsrum. Wir bohrten uns über den Kanal tiefer in den Pott. »Glüht der Kanal länger als die Kohle?« Diese Veranstaltung hatte nicht den Anspruch ein paar eyecatcher zu liefern und seicht den Bettgang vorzubereiten; sie bot Potential Ewigkeit zu erfahren. Endlich in der ersten Schleuse, das erste Ziel – Taktung erleben. Eine von Dreien, direkt nachdem wir die A3 hinter uns gelassen haben. Rhein-Herne Kanal – Ost-West Achse. Schiffe sinken, doch unser Schiff erhob sich in der Schleuse auf den nächsten Abschnitt. Wir hören eine Arbeitergeschichte. Typisch, und doch so untypisch, dass ich vergessen habe, worum es ging. War es der Müllwagenfahrer? »Gibt es Ideen die Ihnen mehr bedeuten als die Wirklichkeit?« Auf nach Oberhausen. Gasometer. Landmarke auf den zahlreichen Touren nach Holland. Ab hier 45min. A40 meiden – Staugefahr.

Verladekran Oberhausen
Verladekran Oberhausen

»Wohin würden Sie mit einer Zeitmaschi(e)ne reisen?« Das war zuviel. Ich war die ganze Zeit schon auf einer Zeitreise. Wenn ich es mir recht überlege, schlafe ich doch am liebsten in meinem Bett, von heute. Soweit geht das Fernweh nicht, ob ich jetzt auf einem Kanal schippere, oder am Bahnhof von der Ferne träume. Wenn es darum geht vom 10er zu springen, lasse ich gerne andere vor. So dringend ist es nicht. Aber es amüsiert mich zu sehen, wie man sich gegenseitig die Stufen hinaufpeitscht und schon auf der Hälfte vergessen hat, wofür. Ich bin dankbar, völlig entschleunigt über den Kanal zu schippern. So langsam, dass Ewigkeit eine ganz bedrohliche Note bekommt.

Unendlichkeit kann ganz schön lang werden, vor allem gegen Ende hin. Die am Wegesrand zu mehr oder weniger ansehnlichen Häusern aufgetürmten Backsteine vermitteln einen bleibenden Eindruck des Schweißes, der hier wohl schon in den Kanal geflossen ist. Alt wurde man damals nicht so mittendrin; aber glücklich und erfüllt, in dankbarer Frömmigkeit mit tiefem Stolz für dass, was man geschafft hat. Für den einzelnen Arbeiter ist sein Leben seine Ewigkeit. »Würden Sie die Flatrate Leben buchen?«

Gasometer Oberhausen
Gasometer Oberhausen

„Alles geht nicht“ denke ich mir, als wir die letzte Schleuse passieren. Mittlerweile ist es dunkel. Amüsant ist es zu hören, wie die Spiegel der Digitalkameras hochklappen, um erst einige Sekunden später wieder zuzufallen. Und kann mir irgendjemand erklären, wieso eine Digitalkamera das Nachführgeräusch eines Fotofilms über einen schlechten Lautsprecher nachbilden muss? Das Auslösegeräusch und der Fokus-beep bei den Kompakten geht mir schon auf den Zeiger, aber sowas? Und dass, wo ich gerade ein Erlebnis habe, welches ich mir höchst selten in Begleitung gönne. Wir fahren schon einige Stunden über den Kanal, haben so einiges am Rand des Kanals sehen dürfen – ob inszeniert oder nicht.

Installation von Irgendwas im Nirgendwo - war sicher mal wichtig
Installation von Irgendwas im Nirgendwo - war sicher mal wichtig

Fehlt die Sonne, fehlt die Wärme. Ich saß in Begleitung, sich unter einer Decke wärmend an der Reling, schweifte meine Blicke und hörte es wieder hinter mir: „Klack“ – der Spiegel der Digitalkamera klappte hoch. … … … … … … … … „Klack“, wieder unten. Wieder ein wenig angekommen in meiner Welt, in der ich ständig den kühl rationalen Schädel mit mir herum trage, der überall Verbesserungspotential entdeckt. Vielleicht war der Herr einfach glücklich mit dem Geräusch, vielleicht fühlt er sich damit erinnert an alte Tage. Brüder im Geiste. Aber das Foto, das ist nichts geworden!

NON STOP CITY - Mit der MS Duisburg über den Rhein-Herne Kanal
NON STOP CITY - Mit der MS Duisburg über den Rhein-Herne Kanal

Hinter uns liegen nun etliche Kilometer, wir sind am Ziel. Recklinghausen. Die Silouette der angeleuchteten Fassade eines örtlichen Unternehmens bohrt sich wie ein Keil in den Kanal. Wieder eine klangvolle Stadt, gehen durch Recklinghausen doch unzählige Güterzüge in den Norden. Über 4 Stunden liegen hinter uns, es ist tiefschwarze Nacht. Aus den Boxen brüllt noch immer der seit gut 45min alles überdeckende Techno. Eine anarchistisch anmutende Reise mit philosophischem Tiefgang haben wir erlebt. Sowas können auch nur Leute von außerhalb machen. Manche Kultur ist evident. Doch man kann sich auch täuschen. »Haben Sie auch ein Haus für Ihr Auto?« Immer wieder blättere ich durch das kleine A5 Heftchen, welches wir auf der Reise erhalten haben. Es ist auf 86 Seiten gefüllt mit urbanen bis abstrakten Fotografien aus der Region, gepaart mit den auf dem Schiff ans Ufer projezierten Fragen und Zeichnungen von Erik Göngrich. Irgendwas ist geblieben, irgendwas bleibt immer. Manchmal ist es eruptiv. Dann ist es schwer in Worte zu kleiden.

3 Antworten auf „NON STOP CITY – Kanalglühen Ruhr 2010“

  1. Klänge zum Eintauchen, Bilder für die Erinnerung, Fragen zum Nachdenken … Skurille Eindrücke, die überraschten!

    Lange habe ich auf diesen Beitrag gewartet, stelle jedoch fest: Manches muss erst sacken, Verstehen braucht Zeit! Das Richtige zur richtigen Zeit tun!

    Eine Frage stelle ich mir oft: Würde ich die Flatrate Leben buchen? Eigentlich doch klar, oder? Aber warum eigentlich? Die Antwort gabst Du mir kürzlich hier: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Ein mir nicht unbekanntes und berührendes Zitat Schlingensiefs. Plötzlich so einleuchtend!

    NON STOP CITY – NON STOP ERINNERUNG – NON STOP LEBEN

    Danke für diese Zusammenfassung!

  2. In letzter Zeit sind Deine Fotos sehr, sehr kontrastreich; dunkle Stellen ohne jegliche Zeichnung. Ist das ein Gestaltungsmerkmal von Dir oder ist einer unserer Monitore defekt?

  3. Mach‘ Dir keine Sorgen um Deine Monitore. Scherenschnitt ich komme. Zuviele Details lenken nur ab. 😀
    Speziell in diesem Artikel muss aber dabei gesagt werden, dass die Kamera schon bis aufs äußerste aufgerissen werden musste. Beim Kranbild z.B. war es schon stockdunkel und nur mit ganz offener Blende und sehr hohem ISO war es möglich, auf dem Schiff (ja in Bewegung) noch ein halbwegs scharfes Bild zu machen.

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