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Kieler Bote - Skulptur vor dem Verlagshaus der Kieler Nachrichten
Kieler Bote - Skulptur vor dem Verlagshaus der Kieler Nachrichten

Haste gelesen? Nein? Stand doch in der Zeitung! Wie, deshalb?

Digital native, Eingeborener der digitalen Technik. Zumindest immigriert. Warum soll ich mir bei CNN einen Bericht über die Lage im Iran anschauen, wenn dort genau die Videos gezeigt werden, die ich auch direkt bei youtube erreiche? Früher habe ich viel CNN geschaut, viel n-tv. Aber wozu noch? Wegen der Experten, die die Lage einschätzen und mir vorkauen, was ich von einer Aussage zu halten habe? Internet Korrespondenten sind der derzeit letzte Schrei, ganz unbefangen mit nettem Augenaufschlag sagt mir der Nachrichtensprecher, dass gleich der Experte kommt und mir erzählt, was im Internet steht. Ein Glück!

Heute geht nichts mehr ohne Experten. Der wahre Wert erschließt sich dann, wenn der vor die Kamera gezerrte Experte wortreich Sachlagen erklärt, die man auch selbst einschätzen kann – QVC Effekt . Hier zählt allzu oft nicht die fachliche Kompetenz, sondern die redaktionelle Erreichbarkeit. Interessant zur Fußball-Weltmeisterschaft zu sehen waren die zahlreichen Live-Übertragungen von Pressekonferenzen und dem, was die Tagesschau hinterher noch als Quintessenz herauszuziehen vermag. Tagelang pushed man wort- und gestenreich hochemotionalisiert eine Aussage aus einem Nebensatz, die im Kontext überhaupt keine Meldung wert wäre, um die Geschichte zu haben. Ganz Fußballdeutschland diskutiert über dies und das. Natürlich. Die Medien diskutieren doch häufig mit sich selbst, und wir sind eingeladen zuzuhören um dazuzugehören und mitzureden. Jahrzehntelang schwadroniert der kleine Herr mit der Wortfindungsstörung über die Moslems, die alles mögliche können, aber noch immer als Hinterwäldler archaischen Kulturen fröhnen, und heute sehen wir Bilder aus eben diesen Ländern, wo Jugendliche vernetzt Demokratie fordern und Despoten auf den Mond schießen wollen. Hier macht das Internet begründet vielen Angst, weil jede Kontrolle fehlt, was wirklich interessant zu sein hat. Meinungsmacher haben es schwer dieser Tage, die Kollektivmeinung, so es sie gibt, tritt viel rauer, ehrlicher ans Tageslicht. Hat noch irgendjemand Interesse am Inhalt, oder reichen die in den Mund gelegten, leicht verdaulichen Hostien der Medienlandschaft? Satt wird man damit nicht. Aber Angst kann man bekommen.

Und so passiert es dieser Tage wieder und wieder, dass medial mit offenem Mund und verschlafenen Augen dieser oder jener Sachverhalt aus dem Internet begutachtet wird. Man steht fassungslos daneben, dass eine Internet Gemeinschaft einen Promovierten nach dem anderen über die Klinge springen lässt. Was jahrelangen investigativen Journalismus bedürfte, erledigt der Mob im Internet in ein paar Tagen. Und dass jede Form der Gegenwehr einen peinlich einholen wird, weil sich die Taktrate verändert hat und Methoden von gestern nicht auf Aktionen der Gegenwart wirken, hat Guttenberg schnell spüren dürfen. Nur mit der Springerpresse im Rücken als Steigbügelhalter im Reigen der gewerblichen Politikarbeit, wäre Guttenberg noch heute der Vorzeigminister. Es zeigt auch, dass sich die Presse noch immer wichtiger nimmt, als sie de facto ist.

Gibt es eine klare Lehre, die die neuen Medien jedem vor Augen führen, dann, dass die Welt um ein vielfaches bunter, vielseitiger und interessanter ist, als die durch die Zensur, Lobbyismus und Political-Correctness gepresste Orange, die mir als frischer Saft von den sog. etablierten Medien und Meinungsmachern angeboten wird. Schon deshalb, weil ein gepresstes Format niemals die tatsächliche Größe zeigen kann. Irgendwas muss doch noch da draußen sein? Ist es. Aber noch immer werden die Medien, die Demokratisierung von Information, in größtmöglicher Weise torpediert. Es mutet als flüchtiger Fehler an, dass Zeitungen vergessen die URL für eine Online Kampagne abzudrucken, aber gleichzeitig die Pressemitteilung zur Befüllung des recycelten Papiers so 1zu1 abdrucken. Irgendwann merkt man, dass überhaupt keine URL in diversen Printmedien stattfinden. Glaubwürdig geht anders. Andererseits kommt heute keine Nachrichtenmeldung im Fernsehen mehr ohne die Information aus, dass weiterführende Informationen im Internet abrufbar sind. Ist das Internet die tolerante aber auch gefährliche Großstadt, ist der Medienzirkus zweifelsohne das erzkatholische Dorf in Bayern, in der Vorgärten für die Meinung der Nachbarn bestellt werden.

Die Zeitung ist tot – das hört man immer wieder. Die Selbstzersetzung ist allgegenwärtig erfahrbar. Vor 20 Jahren wäre ich wohl noch die ideale Zielgruppe für weitrechende Zeitungsabonnements gewesen. Doch jede Skepsis wird in penetranter Zielgenauigkeit bestätigt. Das beginnt damit, dass lokale Zeitungen nicht mal in der Lage sind, Namen korrekt zu schreiben – wie ist dann erst der Inhalt zu werten? Als Antwort auf die hereinbrechende Varietät der Informationsbeschaffung haben etablierte Medien die Antwort, den mittelmäßigen Fotografen zum Redakteur zu erheben um Kosten zu sparen. Doch ein Mangel an Qualität wird niemals die Antwort sein. Diverse Artikel der letzten Wochen sind einfach nur peinlich. Nichts ist für die Ewigkeit, und die Marktmacht an der Information verlieren die Medien aus Papas Zeit unaufhörlich. Wir üben uns in Scheingefechten und unterhalten uns medial über Monate über einen Wettermoderator und dessen ausgeprägtes Sexleben. Den Übergang in eine andere Epoche machen sie einem nicht schwer, da sie sich zuvor in Rationalisierung übend, erstmal die Qualität abgeschafft haben – vielleicht hatten sie sie auch nie, ich bin ja noch jung. Zumindest aber erkennt man es jetzt. Es verwundert nicht, dass Print-Enzyklopädien ausreichend Gründe gegen Wikipedia finden, doch werden wohl auch hier langsam die Schreibtische geräumt werden müssen. Vermisst sie jemand ernsthaft?

Doch sie drängen mit Macht in die Neuen Medien. Sie versuchen sich zu etablieren. Dabei werden Konzepte verwendet, die seit 100 Jahren funktioniert haben, die aber durch das feine Gespür der Digital natives enttarnt werden, weil es einfach aufgesetzt ist. Auch hier gibt es unzählige Beispiele; es sei nur an die peinliche Wahlkampfwerbung ohne Idee und Verstand erinnert, die wir zur letzten Bundestagswahl ertragen durften. „Die Kanzlerin lässt mitteilen…“ ist kein guter Anfang für einen Tweet – außer für die Follower der Jungen Union, die mich nicht selten an FDJ erinnern. Youtube und Konsorten wird schlicht als Ersatz für das Telefon als Weisheit letzter Schluss in moderne TV-Sendungen gepresst, in denen überforderte Moderatoren ohne irgendeinen Nutzwert für den Zuschauer auf unausgereiften Touchscreens rumfuchteln. Man muss ja schließlich Schritt halten. Und wenn das Video eines Youtube Mitglieds für grenzdebile Polittalks, wo sich Jahr für Jahr die selben 30 Zwangsneurosen gegenseitig Nettigkeiten an den Kopf werfen, auch noch in HD hochladen wurde, wird es, um dem Charakter des amateurhaften Internets beizubehalten, mit einem adäquaten Qualitätsabstandsgesetz heruntergerechnet, bis man nichts mehr erkennt und versteht. Ist doch süß, dieses Internet.

Und wo Potential erkannt wird, wird es rechtlos ausgeschlachtet. So wird man heute mit der sprunghaften Zunahme brauchbarer bis exzellenter Fototechnik in der Hand des Amateurs am Puls der Visualisiierung der Meldung zur kollektiven Rechteabgabe animiert. Fotos hochladen vom Unwetter, Fotos hochladen vom Event, Fotos vom Winter, Fotos vom Lieblingskuchen, Fotos Fotos Fotos. Die Rechte verbleiben bei den Rundfunkanstalten; doch Mutti ist stolz auf Dich. Was bleibt, wenn neben dem Redakteur jetzt auch der Fotograf eingespart wird, weil auch das der Kunde selbst erbringen kann, so wie wir heute auch selbst unsere Ware an der Kasse scannen dürfen? Werbung und Wetter.

Ich genieße Dein Schweigen, diese ewige Ruh‘. Und bin ich mal traurig, höre ich Dir dabei zu.

Es bleibt nichts zu sagen, alles ist handelbar. Die heutige Medienlandschaft verkommt mehr und mehr zur Hure. Und sie ist billig, weil sie um ihre Existenz kämpft. Schwarzer schreibt für Bild, muss ich mehr sagen? Und gerade in dem Moment, in dem man als Verleger meint in staubtrockener Wüste vor Erschöpfung nur noch auf die Knie fallen zu können, erspäht man in der Ferne eine grüne Oase. Da hat es jemand verstanden die Demokratisierung und Zugänglichkeit von Wissen in ein kapitalistisches und schwer diktatorisches System zu pressen. Ohnehin waren die Mobiltelefone seit je her Gelddruckmaschinen, und noch bevor der Gedanke der Offenheit in die Smartphones Einzug hielt, kam der Siegeszug der totalen Kontrolle über die Landschaft. Und gekauft wird nachweislich reichlich von dem Zeug, weil es funktioniert und so schön anzuschauen ist. Aber wenn Apple die einzige Lösung für Verleger ist, würde ich an deren Stelle ganz schön verlegen werden. Die Firma würde nicht zum ersten mal nach Größenwahn sang und klanglos erstmal wieder in der Versenkung verschwinden. Ja, ich gebe zu, es würde bei mir einen ganz niederen Impuls triggern: Genugtuung.

Versuch es mir zu erklären, so als ob es wirklich gute Gründe wären!

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