Halluzination eines Neutrons im Vakuum der Materie

Dom Xanten
Dom Xanten

«Also» sagte er, «wie hast Du mich gefunden?» «Nicht sehr schwer zu erraten» erwiderte ich, «Ich habe gesucht! Da laufen ein paar Menschen auf unserem Planeten rum, die ja beste Kontakte zu Dir haben. Sie vermitteln Möglichkeiten, wie man mit Dir in Kontakt treten kann. Sie verkünden Dich.»«Auf welchem Planeten» fragte er. Ich war schon sehr verduzt. «Ja wie? Auf der ERDE natürlich! Deine Schöpfung, auf der Du in Deiner unendlichen Güte Deinen Sohn geschickt hast.» «MEINEN SOHN?» tönte er laut, dass mir einen Moment die Stimme versagte. «Ja natürlich. Das sagen die! Er kam auf die Erde und starb für uns am Kreuz. Wir huldigen dem in einer speziellen Zeremonie, an dessen Ende sich Esspapier in sein Fleisch, und Wein in sein Blut verwandelt. Das essen und trinken wir dann.»

«Wieso sollte ich meinen Sohn auf die, wie sagtest Du, „Erde“ schicken?» Dass ich Gott sein Leben erklären musste, hätte ich kaum für möglich gehalten. Bibelsicher fing ich an von der Erbsünde und Gnade zu schwadronieren, von der Frucht der Erkenntnis und falschen Schlangen, von Dornenbüschen, dass er frustriert über seine eigene Schöpfung alles erstmal ersoffen hat, von Jesus, der Auferstehung, schwere Steine vor leeren Gräbern, den Evangelien und dem Exorzismus. Er lauschte geduldig, aber als ich gerade mit der Offenbarung anfing er stoppte mich jäh.

«WAS SIND DAS FÜR SCHAUERMÄRCHEN? Ich spreche über brennende Büsche mit meinen Propheten und reinkarniere mich selbst in meinen eigenen Sohn, den ich dann für Euch ans Kreuz hängen lasse, um wenig später zu mir selbst zurück zu kehren? Und ihr feiert mich obendrein, in dem ihr mein Blut trinkt, und mein Fleisch verspeist?» Ich wurde unsicher. «Ja, dass klingt schon irgendwie merkwürdig.»

«GLAUBEN DENN ALLE AN MICH?» «Ja! Nein! Jein! Also, wir haben ganz viele verschiedene Götter und glauben in den allermöglichsten und unmöglichsten Ausführungen und Arten an Dich. Die glauben sie müssten fünfmal täglich in eine Richtung beten, ihr Haar bedecken, dürften kein Sex haben, keinen Schinken essen, Sonntags nicht arbeiten usw.. Aber es gibt auch viele die glauben überhaupt nicht an Dich. Aber das musst du doch wissen?!»«Wissen auch Menschen von mir?» «Sie glauben zu wissen.» «Wissen sie?» «Ich glaube schon.» «Was macht Dich sicher?» «Ihre Überzeugung.» «Nun, wenn ich die Welt erschaffen habe, warum gibt es dann Zweifler, oder gar Ablehnung? Ich müsste doch offensichtlich sein.» «Viele sagen, du wärst es.» «Bin ich das?»

«Aber Du hast dem Menschen die Liebe gebracht. Wir wissen noch immer nicht, was eine Seele ist, was Liebe ist. Deshalb glaube ich so fest an Dich, weil Du uns Liebe gegeben hast.»

«Ist denn alles, was ist, aus Planung geschaffen?» «Das verstehe ich nicht» entgegnete ich, «bitte erkläre es mir». Also fing er an: «Nehmen wir an Du hast ein rechteckiges Stück Papier. Daraus benötigst Du jetzt ein rechtwinkliges Dreieck mit der Hypotenuse gar so lang wie die lange  Kantenlänge des Rechtecks. Also nimmst Du eine Schere und schneidest es aus. Zwei Schnitte. Was hast Du dann?» Das wusste ich und entgegnete: «Ja, natürlich habe ich dann mein Dreieck.» «Wirklich nur ein Dreieck?» Mir fuhr es sofort in die Glieder. «Natürlich habe ich dann drei Dreiecke?» «Wie würde es deinem Ego gefallen, wärst Du das Abfallprodukt; eins der Dreiecke, und Deine Liebe ein anderes Abfallprodukt; das andere Dreieck?» «Wohl nicht sehr dolle.»«Also triffst Du rein aus Eitelkeit die Entscheidung kein zufälliges Abfallprodukt zu sein – sein zu wollen; oder hast Du irgendeinen treffenden Hinweis auf Gegenteiliges?»

«Wäre es nicht möglich» fuhr er fort, «dass wesentliche Teile Deiner Existenz auch nichts anderes sind als Abfallprodukte, aber das Dein eigener Abfall wiederum anderen und Dir selbst nützlich sein kann? Wie kommst Du also darauf, dass unbedingt ich es sein soll, der Euch Liebe geschenkt hat? Kannst Du Dir andere, einfachere Möglichkeiten vorstellen, warum Du Liebe gibst und empfängst?» «Vielleicht», antwortete ich, «aber das ist wenig romantisch, wenig beseelend». «Spielt die Erklärung für das Gefühl denn eine Rolle für das Gefühl an sich?» «Nein, eigentlich nicht. Auch wenn ich weiß wie Komik wirkt, kann ich ja trotzdem herzlich lachen. Ich könnte einen Menschen auch genauso gut und genauso gerne lieben auch wenn ich gar keine Erklärung hätte; keine göttliche, keine weltliche.»

«So! Ich bin es nämlich langsam leid, dass bei allem, was irgendwer nicht versteht, ich direkt dafür verantwortlich gemacht werde. Ich bin doch kein Lückenfüller. Tatsächlich mag mir einiges entglitten sein. Ich habe das Universum erschaffen. Doch ich bin taub und blind, ich habe keine Stimme, nicht mal eine Sprache. Ich fühle nichts und ich habe kein Ziel, ich habe keine Größe und kein Gewicht. Meine Existenz ist für Dich gar nicht erfahrbar. Ihr macht euch zu viele Gedanken über Dinge, über die ihr per Definition überhaupt nichts aussagen könnt. Gar nichts!» «Ich habe das Gefühl» führte er fort, «ihr Menschen habt mich geschaffen, wie ihr mich gerade benötigt.» Plötzlich erschrak ich aufgrund eines Geräuschs. Ich hatte doch nur geschlafen.

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