T: Ton Steine Scherben

Was kann uns hindern? Kein Geld, keine Waffen, wenn wir es wollen! Ein Satz für die gewaltlose Revolution, die uns Ostdeutschland vor 20 Jahren erfolgreich präsentiert hat. Ton Steine Scherben ist sicherlich kein Punk, doch ist es die Saat und der Boden dessen zugleich gewesen. Und hier darf man sich ruhig mal einen Ausreißer leisten, zumal Frontmann Rio Reiser auch heute in der deutschen (Chart)Musik allgegenwärtig ist.

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C: Chaos Z – Gewalt

Depressiv, deprimierend, melancholisch, selbstzerstörend. Agressiv, auf den Punkt, ohne Schnörkel. Ganz so, wie Hitchcocks Psycho durch Abwesenheit von Blut und exzessiver Gewalt mehr durch die Verwürfnisse und Erwartung einer geschundenen Seele schockierte, brauchte auch Chaos Z keine Drohkulisse, keine Parolen. In den 80ern war Chaos Z ein Phantom, was schlicht an mangelnder Mobilität lag. Später, da sie sich musikalisch weiterentwickeln wollten, haben sie unter Fliehende Stürme weitergemacht. Nach 13 Jahren kam Chaos Z zurück – Schlachtrufe BRD IV. Vergiss es nicht und Duell der Letzten, ’95. Was ein Brett! Dem folgte das Album 45 Jahre ohne Bewährung, dass Andreas Löhr im Alleingang schrieb, da sein Bruder und Bandkollege Thomas Löhr zuvor verstarb. Der Titel Gewalt ist eigentlich so ziemlich der letzte Song von Chaos Z und bildet musikalisch die Schleife zu den Anfängen ’80. Vielleicht, oder gerade deshalb ein Klassiker für mich. Zudem hat mich immer fasziniert, wie hier jede Strophe ohne irgendwelche musikalischen breaks runtergerotzt werden. Als weiteren Punkt kommt mir dieses Lied immer nach Amokläufen in den Sinn. Das gesamte Schaffen der Band fand sich später noch auf einer Doppel-CD wieder, mit prägnantem Cover.

Zu oft hinten angestellt, zu häufig blind vertraut
Zu oft auf den Müll geschmissen und vom Staat beraubt
Immer in der Ecke und kein Ziel zu sehen
Keine Möglichkeit zur Flucht wenn die Bombe explodiert

Abgefackelt und vertrieben, ständig isoliert
Alltag bis zum Ende, ein Leben das gefriert
Hände bilden Fäuste mangels Identität
Mord und Totschlag, grenzenlose Brutalität

Fäuste gegen Wände, die Mauern sind zu hoch
Alltag bis zum Ende, ein Leben das erfriert
Der Affe sitzt im Nacken, treibt dir Pfeile ins Gehirn
Leben in der Zwangsjacke unter dunklem Stern

Du hast dein Herz verschenkt, es wurde weggegeben
Na das wars dann wohl kein Grund mehr weiterzuleben
Ein Amoklauf als Ende die Zeitung schreibt von Mord
Deine ausgebrannte Seele, du musstest einfach fort

Zuviel Deutschland unter grauem Asphalt
Gewalt im schwarzen Einödland

K: Kapitulation B.o.N.n – Der Pazifist

Eine definitive Hymne meiner Jugend. Losgelöst vom eigentlichen Inhalt, der kritischen Auseinandersetzung mit der RAF, stehen hier einige wichtige Zeilen für das tägliche Leben im Text, die noch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben – sich im Gegenteil immer weiter betonieren. Kapitulation B.o.N.n. traten das erste mal 1992 großflächig in der Szene auf, da sie auf dem Schlachtrufe BRD II Sampler eben mit diesem Lied den Ritterschlag erhielten. Wer auf dieser Samplerreihe war, hatte was zu sagen. Der Pazifist wirkte auf dem Sampler wie Vogelgezwitscher an der Autobahnraststätte. Leider konnten die Jungs für mich nie wieder an die Qualität der Sampler-Songs Der Pazifist, Gelobtes Land und dem brachialen, über jeden Zweifel erhabenen Song Maschinenmensch vom Schwestersampler Deutsche Punkinvasion anschließen. Das erste Album war grauenvoll, die beiden Alben Feuer und Blut entfernten sich deutlich vom ursprünglichen Sound, waren aber sauber gespielt und textlich tiefgehend. Den Parolen der 80er Jahre hatte man sich, bis auf ein paar peinliche Ausnahmen, glücklicherweise nie angenommen. Am Fenster, ein mit Geige begleitetes City Cover vom Album Blut, entzückt noch heute. Mit Helden lieferten sie 2004 noch einmal ein sauberes Album ab, welches sich aktuellen Themen annahm.

Du kannst schreien, doch keiner wird Dich hören
obwohl Du weißt, Du hast die Antwort.
Doch du kannst nichts tun als zu verlieren,
Depression tötet jede Hoffnung.
Hast kein Bock mehr in einer Welt zu leben
in der nur das Recht des Stärkeren zählt.
Wir arm sind wir selbst dass wir es nicht anders können,
und Du musst damit Leben, dass Du weißt, wie es geht.
Stehst ja selber mitten drin, und dennoch ist dir alles fremd hier.
Du glaubst vielleicht dass Du so richtig anders bist,
doch Du hast viel zu viel von all dem in Dir.

Manchmal könnte ich mir die Kugel geben,
und abhauen, scheiß egal wohin.
Und wen würde das hier auch interessieren?
Ich weiß ja selbst nicht so genau, wer ich eigentlich bin.
Und manchmal, möchte ich Bomben legen
wenn ich blind bin, vor lauter Ohnmacht und Wut.
Doch der neueste Wahnsinn, macht mich restlos fertig.
Verreckt doch an eurem blauen Blut.

Ich bin ein Pazifist, mit der Kanone in der Hand,
und ich bin genial, aber eigentlich nur krank.
Hat es noch Sinn weiter zu machen, gegen Wände zu schreien?
Ich kann und will es noch nicht fassen wir schwer das ist ein Mensch zu sein.

Randnotiz: Im Textheft steht „obwohl Du meinst Du hast die Antwort“ gesungen wird „obwohl Du weißt Du hast die Antwort“, ebenso steht im Textheft „dass du glaubst, Du weißt, wie es geht“, während „dass Du weißt wie es geht“ gesungen wird.

Ein Album mit dem Sound von ’92/’93 – ich wäre nahezu jeden Preis zu zahlen bereit.

D: Daily Terror – Hinterlist

Ganz klar Daily Terror. Ebenfalls eine Band, die Unmengen an Klassikern geschrieben hat, und ebenfalls auch durch leise Töne auffiel. Hinterlist war eigentlich zuviel für einen jugendlichen Realschüler der damaligen Zeit, so ganz ohne Internet und Wikipedia. In der Schule durfte man nicht darauf hoffen sich in Politik oder Sozialkunde mit dem Nahen Osten zu beschäftigen. Nahezu 30 Jahre haben Daily Terror, schon durch den charismatischen Sänger, Statements in die Welt gerotzt. Am 11. April 2009 forderten die letzten 30 Jahre Punkrock und die stets verfolgte Selbstzerstörung bei Pedder ihren Tribut. Ein Hirntumor als Folge von Lungenkrebs beendete das Leben Pedders früh, und nicht zuletzt das Schaffen der Band. Wenige Tage vor seinem Tod gab er noch ein letztes „Abschiedskonzert“.

Verwesener Gestank liegt über der Stadt
wo das Blutbad stattgefunden hat
Mit Israels Segen kamen die Falangisten
Frauen und Kinder standen auf ihren Listen

Was soll das Gescheih, es ist nunmal so
Es waren doch alles Terroristen der PLO
Was soll das Geschei, es ist nunmal so
Es waren doch nur Terroristen der PLO

In Sabra & Schatila die selben frommen Killer
Begin und Sharon grüßen zufrieden mit Shalom
Nach Schuld und Sühne ist nicht gefragt
Abschlachten ist wieder angesagt

Was soll das Geschei, es ist nunmal so
Es waren doch alles Terroristen der PLO
Was soll das Geschei, es ist nunmal so
Es waren doch nur Terroristen der PLO

Der Holocaust-Kredit ist längst verspielt
Sie haben lange genug auf unser Mitleid geschielt
Wenn sie Massenmord als Politik ansehen
Ist die bombige Rache nur zu gut zu verstehen

Dann gibts zwar Geschrei doch es ist nu mal so
Das ist die offene Rechnung der PLO
Dann gibts zwar Geschrei doch es ist nu mal so
Das ist die bombige Quittung der PLO

A: Ausbruch – Kämpf um Dein Recht

Oh, bei A wird es aufgrund des Überangebots schon schwer. Abwärts? Jede Menge Klassiker! Artless, Abstürzende Brieftauben, A.E.W, Anfall, Antikörper, Atemnot…

Das Rennen macht für mich Ausbruch, ohne jede logische Begründung. Ausbruch war mir immer schon lieb, da sie sich nicht auf Parolen beschränkt haben, sondern auch immer musizierten. Aber welches Lied? Viel gibt es da auch nicht, dafür ist die Dichte guter Titel umso höher. Jedes Lied ein Klassiker. Gesanglich, wie bei „Die Freiheit“ teilweise in Richtung, auch wenn es niemand von denen gerne hören wird, Westernhagen. Textlich anklagend (Nennt ihre Namen), politisch (Die Freiheit), radikal (Kämpf um Dein Recht), nachdenklich (Deutscher Eid), lustig (Kein Benehmen). Geboren in die Zeit des Kalten Krieg, den Ami als großen, bösen Bruder im Blick. Aber wenn mir einer „Ausbruch“ als Stichwort gibt, würde ich sofort mit „Kämpf um Dein Recht“ antworten.

Die sagen dir tut uns leid
Sie heucheln Dir ihr Mitleid
Für Dich gibts nichts in diesem Land
drum wache auf, gebrauch Verstand

Kämpf um Dein Recht, sonst gehts Dir schlecht
sie wollen Dich belügen, um die Zukunft betrügen

Sie beruhigen uns mit Parolen
bald gibt es Arbeit für zwei Millionen
Daran glaube ich schon längst nicht mehr
das Volk zu betrügen fällt ihnen nicht schwer

Kämpf um Dein Recht, sonst gehts Dir schlecht
Sie wollen Dich belügen, um die Zukunft betrügen

Sie verdienen das große Geld
während Tausende der Hunger quält
Sie sind korrupt, hinterziehen Steuern
im Namen des Volkes sollst Du bereuen

Kämpf um Dein Recht, sonst gehts Dir schlecht
Sie wollen Dich belügen, um die Zukunft betrügen

Sie ziehen Dich ein, kasernieren Dich ein
Behandeln Dich wie das letzte Schwein.
Nehmen Dir 20 Monate Deines Lebens
doch fürs Arbeitsamt ist nicht vergebens.
Sie fordern Deine Treue für die Demokratie
doch für Sie zu sterben lohnt sich nie.

Kämpf um Dein Recht, sonst gehts Dir schlecht
Sie wollen Dich belügen, um die Zukunft betrügen

Es gibt Lieder, da fragt man sich heute, was man damals für einen Müll gehört hat. Es gibt Lieder, manchmal auch nur einzelne Strophen, die holen einen immer wieder ein.

M: Middle Class Fantasies – Helden

Neue Kategorie: Punk Rock Classics von A-Z. Was mich in meiner Jugend ideologisch oder physikalisch so bewegt hat. Mal sehen, ob ich alle Buchstaben voll bekomme. Gerade unter den Klassikern gibt es viele Bands, die einen, maximal zwei Longplayer herausbrachten, aber nachhaltig die Szene und die Musik beeinflusst haben, vielleicht auch gerade deshalb, so manches wurde hundert, wenn nicht sogar tausendfach von Kasette zu Kasette überspielt. Die Texte sind nur bedingt massentauglich, häufig, so aus dem Kontext herausgelöst, auch manchmal zweideutig oder verstörend, mitunter primitiv oberflächlich – aber es war ein unverzichtbarer Gegenpol einer unpolitischen New-Kids-on-the-Block oder Popper Szene. In der Zeit, als Nena von 99 Luftballons massenkompatibel gegen den Krieg sang, fand man im Untergrund deutlichere Worte.

Den Anfang machen die Middle Class Fantasies mit Helden. Auch Middle Class Fantasies brachten genau eine Single und ein paar Samplerbeiträge heraus. Dass hier verlinkte Lied war lange Zeit zensiert, also mit Pieptönen versehen. Aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar. Es erschien damals als Opener auf einem legendären Sampler. Mittlerweile gibt es das unzenziert, da eine Prüfung bzw. Indizierung durch die BpjM zeitlich begrenzt ist und nach Ablauf einer Neuprüfung bedarf. Das Lied ist von 1980 und durch den Schweinerythmus und die Intonierung für mich noch immer ein definitiver „ma‘ lauter machen“, wenn es im Player gerade durchläuft.

Dein Dienst für’s Vaterland, Dein Dienst für Vater Staat.
Sie geben dir die Waffen, Dein Mord erhält sie an der Macht.
Das Volk verlangt nach Härte, ihre kleinen Hirne voller Kacke;
sagen nur was man ihnen sagt, sie wollen Blut sie wollen Rache!

Helden in blutigen Uniformen, Helden zum Töten geboren.

Da stehst Du in Deiner Uniform, Dein Knüppel drischt auf rohes Fleisch.
Deine Knarre ritzt dein Monogramm – weisst Du wofür und warum?

Und irgendwo sitzt Vater Staat, das Karstadt-Fliessband-Bürger-Syndikat
ihre Mordlust die heißt „national“, ihre Feinde nennen sie „asozial“

Helden in blutigen Uniformen, Helden zum Töten geboren.

Was bleibt der Macht ohne Blut, Bullen ohne Helm und Knüppel?
Soldaten ohne Tommy Gun, Panzer ohne Munition?

Sie wollen dich ficken, wart’s nur ab. Die Pest trägt Beulen solange sie lebt.
Schrei’s zurück in ihre Fressen bevor ihr KZ wieder steht

Helden in blutigen Uniformen, Helden zum Töten geboren.