Das Jahr geht dem Ende entgegen

Emirates - im Landeanflug auf Düsseldorf
Emirates - im Landeanflug auf Düsseldorf

Und nicht nur das Jahr endet, ein ganzes Jahrzehnt geht dem Ende entgegen. Morgen schon schreiben wir die große 1. Ich möchte gar nicht erst versuchen einen Abriss des Jahrzehnts zu geben, da würde ich im kleinen und großen nur zu viel vergessen. Aber dieses Jahr endet, wovon das ganze Jahrzehnt bestimmt war: Eine völlig abstrakte Gefahr lässt uns unsere freiheitliche Ordnung vergessen und wir versklaven uns der Sicherheit. Auf Gegenbewegungen, wie der Demonstration „Freiheit statt Angst“ wurden wir erneut Zeugen polizeistaatlicher Gewalt, die auf der Straße das mit der Faust durchdrückt, wogegen friedlich begehrt wird. Lalüla Gummiknüppel, Lalüla Wasserwerfer, Lalüla Tränengas. Der Ton wird rauer. Noch ein Beispiel? In den 80ern sang eine ausergewöhnliche, weil musikalisch reife, Punkband namens Ausbruch:

Wo ist die Freiheit die man mir versprochen?
Keiner kann es mir sagen.
Wo ist die Freiheit die man mir versprochen?
Nur Tränengas auf meine Fragen!

Nie war diese Aussage wahrer als heute. Und es macht mir ehrlich gesagt Angst, wenn ich meine Meinung nicht mehr vertreten kann, ohne mit staatlicher Repression zu rechnen. Die Art und Weise, wie die Polizei heutzutage auf Demonstrationen agiert, ist beschämend. Und das jeder Winkel und jede Person von der Polizei gefilmt wird, ist ein weiteres Zeugnis des Erbes Schilys, welches Schäuble fortgesetzt hat. Es bleibt zu hoffen, dass de Maizière einen anderen Kurs verfolgt. Die kürzlichen Aussagen lassen jedoch gegenteiliges vermuten.

Natürlich wäre z.B. eine Kamera für Jedermann ein probates Mittel Rechtsverstöße zu ahnden, doch sollten wir uns die Frage stellen, ob wir das auch wirklich wollen. Das hat schon in der DDR zu Mißmut geführt. Die Terrorabwehr nimmt immer wieder aufs Neue bizarre Züge an und wird gerne als Sau durchs Dorf getrieben. Aktuell möchten wir jeden Fluggast virtuell entkleiden um nachzusehen, dass er sich auch keine Marmelade ans Bein geschmiert hat. Der Schläfer hat jedoch vermutlich längst beim Dealer angerufen um sich der Vorzüge der rektalen Substanzschmuggelei gewiss zu werden. Und überhaupt: Welche Faszination üben diese Aluröhren am Himmel denn so genau aus, dass sie als einzig schützenswertes Transportmittel gelten? Oder haben wir es hier lediglich mit Reaktionismus zu tun, weil Atta nunmal im Flugzeug saß und nicht auf dem Fahrrad? Wie wäre eine hinreichend große Bombe in einem vollbesetzten TGV bei Tempo 300 im Tunnel, oder auf einer Brücke die über ein Dorf spannt? Meine Taschen und Koffer habe ich zumindest in noch keinem Zug vorzeigen müssen.

 

Unsere Sicherheit ist uns lieb, und das auslaufende Jahrzehnt hat es leider auch auf unsere Kinder abgesehen. Wenn Kinder Kinder morden, sprechen wir heute nicht mehr zwingend vom Krieg an der Elfenbeinküste. Deutschlands Jugend hat sich den Amoklauf beigebracht. Und bekannt cholerisch wurden Gesetze erlassen, die uns alle wieder sicher schlafen lassen! Zwar geht die Verschärfung des Waffengesetzes oder das Verbot von Killerspielen meterweit an den tatsächlichen Problem vorbei, die in den Abschiedsbriefen der Amokläufer deutlich werden, doch mal eben ein Gesetz verschärfen stoppt die mediale Diskussion und lässt uns wieder ruhig schlafen – bis es morgen wieder knallt. Probleme lösen scheint unbeliebt geworden zu sein – Probleme schieben ist hoch im Kurs.

 

Das Internet ist groß geworden – und gefährlich. Alles voller Taschendiebe in dieser zugigen Ecke. Und während staatlich verordnet jeder Schritt den ich im Internet mache sechs Monate protokolliert wird, regen sich oberste Datenschützer in senilen Polit-Talkshows tatsächlich darüber auf, dass die nachwachsende Generation, die ein völlig anderes Verständnis von Datenschutz und Privatsphäre zu haben scheint, bereitwillig von sich aus Daten preisgibt. Das gilt übrigens auch für diverse Amokläufer, die ganz ohne staatlichen Eingriff alles zuvor genau zu Protokoll gegeben haben. Geholfen hat es nichts, aber Bosbach stellt sich hin und behauptete verschmitzt, man könne das Verbrechen besser aufklären. Das ist ja super! Lass‘ uns doch die Privatsphäre ganz abschaffen, die jungen wollen sie eh nicht, die alten wollen sie untergraben. Also weg damit, dann gibt es auch kein Krach mit den obersten Datenschützern, und vielleicht könnte man die eine oder andere Stube mal wieder lüften.

 

Auf die PR-CDU-Wahlwerbung-Alleinstellungsmerkmal-Kinderporno-Internetsperre gehe ich nicht erneut ein. Das ist nur noch traurig.

 

Das Jahrzehnt war in Deutschland politisch geprägt von der SPD, die christlich demokratische Züge annahm, und sich so selbst die Berechtigung genommen hat. Das klare Nein zum Irak-Einsatz verhallte schnell, Hartz IV ist zum Schlagwort geworden; politische Verhältnisse haben sich geändert. Am Ende hat die SPD auf allen Ebenen erdrutschartige Verluste hinnehmen müssen. Die Luft ist raus, und es scheint mir fraglich, ob Nahles und Gabriel das Eisen aus dem Feuer holen können. Und am Ende des Jahrzehnts bäumt sich Steinmeier nochmal auf um vor der bösen FDP zu warnen, dessen Weltanschauung als Auslöser der Kriese niemals die Lösung sein kann, wohl verschweigend, dass es die SPD 2005 war, die die Liberalisierung der Finanzmärkte auch in Deutschland eingeführt bzw. ermöglicht hat. Am Ende des Jahres freuen wir uns wieder über einen starken Dax, sich das Roulette wieder dreht, Wetten auf Nahrungsmittel abgeschlossen werden, während Millionen in Kurzarbeit sind und unsere Spekulation Kindern das Essen aus dem Mund stiehlt. Viel hat sich nicht geändert, außer, dass Banker kein geachteter Beruf mehr ist. Dr. Korsten, der ehrenwerte überparteiliche Bürgermeister mahnt Banker an, die auch in Radevormwalds Wirtschaft tiefe Narben hinterlassen haben, weil sie leichtfertig Geld verzockt hätten. Wer im Glashaus sitzt Dr. Korsten… Es besteht zumindest kein Grund den Weg der Bundes-SPD in die Kommune zu tragen.

 

Am Ende des Jahrzehnts erscheint mir die Welt in Schockstarre trotzdem komplett auf den Kopf gedreht, was natürlich nicht minder an den eigenen, ständig ändernden Lebensumständen und Anschauungen liegt. Wir haben kopfnickend unsere Freiheit begraben und sind gerade dabei die Freiheit unserer Kinder in Stacheldraht zu hüllen. Personen, die nie im Internet waren oder ein grundsätzliches Verständnisproblem mit dem Medium haben, entscheiden nach dem Prinzip „kalte Schnauze“. Nie war das Bundesverfassungsgericht nötiger als heute. Und nie wurde es öfter in Anspruch genommen. Wir möchten gerne sämtliche Kommunikation unserer Kinder protokollieren – es könnte ja ein Attentäter dabei sein. Oh wie sich die Väter unseres Grundgesetzes im Grabe drehen müssten. Und dann wären da noch die Verwertungsgesellschaften, die Ihre Rechte am geistigen Eigentum durchdrücken müssen. Die, die mit dem Aufkommen der CD und ungeahnten Umsätzen in den 80er Jahren jedes neue, noch erfolgreichere Jahr zum Status Quo erklärt haben, und die jetzt schimpfen, weil ihre Plastikmusik niemand mehr hören will, oder zumindest nicht bereit ist, dafür Geld auszugeben. Sie drängen in das Internet, aber nicht zur Nutzung der Chancen, sondern um ihre eigenen Kunden rechtlich für etwas zu belangen, was seit der Existenz von Wissen und Kultur passiert. In diesem Jahrzehnt sind wir mit Napster gestartet, und Stunden später war ein Lied dann auf dem eigenen Rechner. Heute laden wir im mbit Bereich ganze Alben binnen Minuten herunter wenn es sein muss. Aber wer will das wirklich haben? Oder, wer wäre bereit dafür Geld auszugeben? Diebstahl nennen es die Verwertungsgesellschaften. Doch es ist kein Diebstahl. Raub nennen sie es auch gerne, doch es ist kein Raub. Was ist es? Vervielfältigung. Genau das, was ein Publisher ausmacht. Das Prinzip der kommerziellen Publisher und Verwerter endet in einer Sackgasse. Massenabmahnungen zeugen davon, dass sie sich dem sehr wohl bewusst sind. Das Jahrzehnt überzog das Internet mit einer wahren Schwemme an Abmahnungen, ganze Geschäftsmodelle beruhen darauf. Fragwürdige Rechtsauslegungen im Namen des Volkes gießen hier noch Öl ins Feuer.

 

Wir verstecken uns hinter dünner Raufaser, sortieren unsere Raubkopien in Billy,  und das wichtigste Event des Jahres ist die allgemeine Betäubung der Sinne. Da dürfen wir uns ein ganzes Jahr drauf freuen. Den Rest des Jahres schimpfen wir über die Jugend, die sich lieber die Birne wegsäuft, statt in heruntergekommenen, verschimmelten, baufälligen und zugigen Schulen mit überforderten Lehren, die noch vor dem Zähneputzen die ersten Globuli einschmeißen müssen, mit überalteten Lehrmitteln die Dinge der Welt beigebracht zu bekommen, die sie im späteren Hartz IV Leben sowieso nicht brauchen. Also wird zumindest an Hauptschulen jetzt gelehrt, wie man einen Hartz IV Antrag richtig ausfüllt. Das gibt Perspektiven, einen Sinn, Zukunft.

 

Und doch, im Privaten, hinter der Raufaser, ist alles in Butter. Wir suhlen uns in einem Wohlstand, der uns täglich die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte. Das haben wir uns verdient. Einmal leben wie unsere Eltern in unserem Alter, und wir würden eingehen wie eine Primel auf meiner Fensterbank. Wir sind zu feige früh und viele Kinder zu bekommen, weil uns unser Wohlstand wertiger scheint als Kindersegen. Ich möchte mich doch nicht einschränken. Und genau in der Zeit, in der wir schon keine Kinder bekommen, kommen ranghohe Menschen daher und verurteilen ausländische Mitbürger mit Kindersegen. Doch das Problem ist nicht der Migrant, dass Problem sind nachweislich schlechteren Chancen. Ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass ein Albaner, ein Türke oder ein Inder grundsätzlich weniger intelligent, kreativ und leistungsbereit wäre. Ich gönne jedem NPDler in 30 Jahren den Altersbezug mit den Anteilen der Personen herausgerechnet, die sie heute gerne loswerden möchten. Nicht das Ausländer mehr Kinder bekommen ist schlimm, sondern dass die Unterschicht überproportional Kinder in die Welt setzt. Aber das kann kein Vorwurf an die Unterschicht sein.

Was bin ich bin froh in einer so verrückten Welt doch eine gute Erdung zu haben. Je weniger einer weiß, umso mehr glaubt er allen Scheiß. Aber je mehr einer weiß, umso unerträglicher kann es werden. Schön, wenn man es mit einfachen Dingen ausblenden kann. Nächstes Jahr geht es wieder zu Australien Pink Floyd nach Köln, und zu Westernhagen nach Dortmund. Ich bin vermutlich wieder zwei- dreimal im Urlaub mit den Personen, die mir am wichtigsten sind. Egal wie mein Medien-Jahr 2010 wird und was alles an Antworten auf nie gestellte Fragen auf mich einprasselt – ganz persönlich steht es schon jetzt unter einem guten Stern mit jeder Menge freudiger Ereignisse. Da können die blöden ruhig auch kommen! Und wenn gar nichts mehr geht: Dumm und glücklich! 😀

 

Das Jahr klingt in einer politischen Konstellation aus, in der ich groß geworden bin. Die goldenen 80er und 90er, mit aller retrospektiver Verklärtheit. Nur die Akteuere haben sich geändert. Aber endlich haben wieder klare Worte!

 

Allen meinen Lesern hier wünsche ich ein glückliches, neues Jahr 2010, und das Abseits des Wahnsinns, dem man mit offenen Augen kaum zu entkommen vermag, der eigene Mikrokosmos für jeden genau das darstellen möge, was man sich nur in kühnsten Träumen zu wünschen vermag! Nur offene Augen lassen einen auch die Schönheit erkennen, und davon ist das Fass gut gefüllt!

3 Antworten auf „Das Jahr geht dem Ende entgegen“

  1. Ich wünsche Dir für 2010 auch alles Gute, mir selbst wünsche ich, einen Teil des Fasses mit Euch zu leeren, und Deinen Lesern viele, viele solcher – und anderer – Beiträge.

    Und bevor wir heute Abend das Ende des alten Jahres und den Beginn des neuen feiern, habe ich noch viel Zeit über Deine Worte nachzudenken.

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